Viele Branchen erfinden sich aktuell neu. Denn die meisten Unternehmen unterliegen seit Anfang 2020 massive Veränderungen. Viele davon versuchen die digitale Transformation aktiv zu gestalten.
In diesem Blogbeitrag teilen Anita Berger, Gunther Fürstberger und Masha Ibeschitz vier agile Changemanagement Tools, die dabei helfen, Veränderungen bewusst zu initiieren und zu steuern:
Anita Berger
Executive Coach, Consultant, Trainer & Managing Partner MDI
Anita Berger ist Executive Coach, Consultant und Trainer mit dem Schwerpunkt Führungskräfteentwicklung und internationales Human Resource Management. Sie ist Partnerin von MDI Management Development International. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet sie in Management- und Führungspositionen (unter anderem als HR-Direktorin bei Coca-Cola Hellenic und als HR-Managerin bei Konica Minolta Business Solutions).
Gunther Fürstberger
CEO , MDI Management Development International
Gunther Fürstberger ist Management Trainer, Buchautor und CEO von MDI, einem weltweit tätigen Führungskräfteentwicklungsinstitut und Geschäftsführer von Metaforum. Seine Kernkompetenz ist die Führung in der digitalen Transformation. Eigene Führungserfahrung sammelte er unter anderem als HR-Manager von McDonald’s Zentraleuropa/Zentralasien
Masha Ibeschitz
Gründerin und CEO , Think Beyond Group
Als Executive Coach, Beraterin, Key Speakerin und Reflection Guide für Top-Führungskräfte ist die diplomierte Betriebswirtin weltweit tätig und begleitet ihre internationalen Kunden durch die Herausforderungen der „VUCA-Welt“. Masha Ibeschitz ist Gründerin und Chairwoman der Think Beyond Group sowie Shareholderin von MDI. Sie ist zudem Autorin mehrerer Sachbücher („Success Reloaded“, „Impact“).
4 agile Changemanagement Tools
Unternehmen können diese vier Tools nutzen, um die bisherige Transformation zu reflektieren und um die nächsten Schritte zu setzen.
- Land/Wasser-Metapher
- TIE: Transparenz, Iteration und Empowerment
- Transformations-Navi
- Stakeholder-Commitment-Analyse
1. Land/Wasser-Metapher
Um überhaupt zu entscheiden, ob es in einem Unternehmen oder speziellem Bereich Agilität braucht, hilft die „Land/Wasser Metapher“:
Wer in einem einigermaßen stabilen Umfeld tätig ist, kann auf festem Untergrund aufbauen und wird mit einer traditionellen Management- und Führungsphilosophie gut bedient sein. Zu agile Methoden würden in einem solchen Unternehmen sogar irritieren.
Wer andererseits einer Disruptionswelle nach der anderen ausgesetzt ist, lernt besser bald Surfen. Das heißt, eine solche Unternehmenseinheit muss ständig in Bewegung sein, um im Gleichgewicht bleiben zu können.
Ambidextrie – die Kunst der Beidhändigkeit – ist das Gebot der Stunde für viele Organisationen. Sie brauchen sowohl die Fähigkeit, das Gegenwärtige zu managen, als auch die Kunstfertigkeit, die noch ungewisseren Zukunftschancen zu erschließen. Die Antwort auf Land und Wasser ist die passende Kombination aus Stabilität und Agilität.
Die eine Hand repräsentiert die Fähigkeit, eine stabile Grundlage zu schaffen. Es geht darum, klare Prozesse einzuführen, das Rad nicht neu zu erfinden, ein Kennzahlensystem zu etablieren – eben eine Struktur, an die man sich halten kann.
Die andere Hand steht für die Fähigkeit, Veränderungen voranzutreiben, aufmerksam die hereinbrechenden Disruptionswellen zu sehen, die richtigen auszuwählen und zu reiten. Es geht um Geschwindigkeit, optimale Anpassungsfähigkeit, kontinuierliche Interaktion und Proaktivität.
Agile Transformation bedeutet nicht, dass jeder Unternehmensbereich maximal agil sein soll.
Es ist vielmehr die Bewegung hin zur idealen Kombination aus Agilität und Stabilität. So kann ein Retail-Unternehmen beispielsweise erkennen, dass es die eigene Zukunft durch das Bereitstellen eines kombinierten Einkaufserlebnisses aus Onlinewelt und physischen Verkaufsstellen sichern kann, während sich die Unternehmenskultur von „Weisung und Kontrolle“ zu einer fruchtbaren Ko-Existenz agiler und stabiler Elementen entwickelt.
Durch die Covid-Lockdowns kommt hier dazu, dass Unternehmen in der Lage sein müssen, schnell zwischen unterschiedlichen Leistungsangeboten zu wechseln. Die Einzelhändler brauchen Webshops und gute Distribution, dann aber auch wieder ihre Filialen. Seminaranbieter müssen innerhalb von wenigen Tagen von Präsenzveranstaltungen auf virtuelle und hybride Lösungen umsteigen können.
2. TIE: Transparenz, Iteration und Empowerment
Transformation, Iteration und Empowerment sind die drei Hauptprinzipien der Agilität, die sich in allen agilen Tools wiederfinden. Sie eignen sich, um den aus jetziger Sicht idealen Agilitätsgrad der Unternehmenskultur zu definieren. Was als „optimal“ anzusehen ist, unterscheidet sich je nach Branche. In der Finanzwirtschaft gibt es zum Beispiel bezogen auf die Transparenz von Informationen berechtigte Einschränkungen. Unternehmen legen für sich selber fest, was sie momentan für den idealen Ausprägungsgrad von Transparenz, Iteration und Empowerment halten. Dafür eignen sich zum Beispiel folgende Skalenfragen:
- Woran würden wir erkennen, dass wir die für uns ideale Empowerment-Kultur leben?
- Woran würden unsere Mitarbeiter/Kunden/Führungskräfte das festmachen?
- Wie fühlt sich das an?
- Wie würden sich Mitarbeiter und Führungskräfte verhalten?
- Was unterscheidet uns dann von anderen Mitspielern am Markt?
Die Antworten fügen sich zu einem detailliert beschriebenen Zielbild – der Vision des Transformationsprozesses – zusammen. Die gemeinsame Vision ist eine der wichtigsten Motivationsgrundlagen, die es braucht, um die notwendige Energie für die Veränderung aufzubringen.
- Auf einer Skala von 1 bis 10 (10 = optimale Transparenz, Iteration, Empowerment), wo stehen wir da heute? So ergibt sich die Standortbestimmung.
- Was ist der Unterschied zwischen 1 und dem gewählten Wert? Als Antwort kommt zum Vorschein, was schon gut läuft und worauf aufgebaut werden kann.
- Was müsste in welchem Unternehmensbereich passieren, damit wir einen Punkt nach oben kommen?
- Was konkret werden wir als nächstes tun, um uns einen Punkt nach oben zu bewegen? Damit ist die konkrete Aktionsplanung gestartet.
3. Transformations-Navi
Das Transformations-Navi (basierend auf Ideen von HR Pioneers und McKinsey) hilft uns, das Vorankommen auf unserer Agilitätsreise zu steuern. Es ist eine Matrix, deren horizontale Achse die Transformations-Bereiche und deren vertikale Achse, den Fortschritt über die Zeit darstellen.
Jedes Unternehmen kann entscheiden, bestimmte Transformationsbereiche dazu zu nehmen oder wegzulassen. Es sollte sich dabei nicht ausschließlich an der eigenen Branche orientieren. Vielleicht verkauft das Unternehmen aktuell Produkte wie zum Beispiel Trainings und wird in Zukunft hauptsächlich Softwarelösungen anbieten, die die bisherigen Produkte weitgehend ersetzen.
In der letzten Spalte wird der Reifegrad eingetragen. Dieser ergibt sich aus dem Durchschnitt der Antworten auf die vorher beschriebenen Standortbestimmungs-Fragen: Auf einer Skala von 1 bis 10 (10 = optimale Transparenz, Iteration, Empowerment), wo stehen wir da heute?
Im Sinne der Transparenz sollten Organisationen das Transformations-Navi für alle Mitarbeiter sichtbar machen. Zumindest einmal pro Quartal trifft sich ein repräsentativ aus den Unternehmensbereichen zusammengestelltes Team, um auf das Erreichte zurück zu blicken und zu definieren, was im kommenden Quartal angegangen wird.
Ein gut durchdachtes und gelebtes Kennzahlensystem stellt sicher, dass die kontinuierliche Fortschrittsmessung auf einer objektiven und stabilen Grundlage erfolgt. Diese KPI-System beinhaltet meist Messgrößen in Bezug auf Finanz, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Produktivität und Innovation und trägt neben der beabsichtigten Agilität vor allem zur Stabilität bei.
4. Stakeholder-Commitment-Analyse
Nicht immer sind alle davon überzeugt, dass es Veränderung braucht. Oftmals trifft Transformation auf aktiven oder passiven Widerstand. Die Stakeholder-Commitment-Analyse dient dazu, sich ein Bild über die Gesamtwetterlage zu machen. Agile Transformation wird oft nicht von oben verordnet, sondern von Führungskräften und Mitarbeitern auf unterschiedlichen Ebenen vorangetrieben. Daher braucht es die Fähigkeit, Commitment zu gewinnen als laterale Führungskraft. Wer also die Transformation vorantreiben will, kann sich und die wesentlichen Stakeholder in die Grafik eintragen.
Commitment setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Wir sind überzeugt vom Sinn des Vorhabens und wir vertrauen der Person, die Veränderung will. Wenn wir die verschiedenen Stakeholder in den vier Feldern der Grafik verorten, wird schnell klar, ob die Mehrheit die Veränderung unterstützt oder eher verhindern will. Die gestrichelte Diagonale markiert dabei die Gleichgewichtslinie. Ob das gesamte Feld im Moment der Analyse nach links unten in Richtung Widerstand oder rechts oben in Richtung Commitment kippt, hängt auch vom Gewicht ab, das die einzelnen Stakeholder oder Stakeholdergruppen aufgrund ihrer Positionsautorität, ihrer Expertise und Persönlichkeitsstärke mit einbringen.
Auf Basis dieser Aufstellungsanalyse können Sie nun treffsichere Schritte setzen, um das Commitment der Beteiligten zu erhöhen. Dazu gibt es viele Möglichkeiten, wie zum Beispiel Gespräche zu führen, um Vertrauen aufzubauen, Interessen zu verstehen, eigene Absicht zu erklären und gemeinsam Lösungen zu finden, die den kollektiven Nutzen aller von der Transformation Betroffenen optimieren. Vielleicht ist es aber auch sinnvoll, neue Stakeholder zu gewinnen, welche die Veränderung mittragen und schon einschlägige Erfahrungen haben. Wenn hohe Veränderungsresistenz einzementiert ist, kann es in letzter Konsequenz auch notwendig sein, daran zu arbeiten, dass Verhinderer das Feld verlassen. Aber in den meisten Fällen führen klare Situations-Analyse und überzeugend-empathische Gesprächsführung zu guten Ergebnissen.