Mit 3 Tools zur mitfühlenden Führungskraft
Bei MDI entwickeln wir nicht nur andere weiter, sondern auch uns selbst. Deshalb war unser CEO Gunther Fürstberger auf einem dreitägigen Seminar von Systemforscher Peter Senge in Stockholm, wo er einige Learnings gewonnen hat. Von seinen Erfahrungen berichtet er in diesem Blogbeitrag.
Die Compassionate Systems Leadership Masterclass
Peter Senge hat 1990 mit „The 5th Discipline“ einen Klassiker der Führungsliteratur geschrieben. Als ich gelesen habe, dass er im Rahmen der Inner Development Goals Initiative in Stockholm ein 3-Tages-Seminar gibt, wusste ich, dass ich das erleben muss. Ich dachte dabei and Marcus Aurelius, der bereits sagte „Man sollte die großen seiner Zeit kennen“.
Die ausverkaufte Compassionate Systems Leadership Masterclass von Peter Senge und Gustav Böll hat mit ca. 100 Teilnehmer:innen vom 29. – 31. März 2023 im künstlerischen Rahmen des Fotografiska Museums stattgefunden.
Der Seminartitel klingt etwas kompliziert. Worum geht es bei Compassionate Systems Leadership? Ein erster Schlüssel zum Verständnis ist der Veranstalter: die Inner Development Initiative. 2016 haben die UNO Mitgliedstaaten die Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung beschlossen. Seitdem hat sich die Situation unseres Planeten weiterhin verschlechtert.
Ein neuer Führungsstil für einen besseren Planeten
Wir Erdbewohner:innen haben offensichtlich bisher nicht die Fähigkeiten und die Haltung entwickelt, die es braucht, um den Schaden des Industriezeitalters wieder zu beseitigen.
Genau da setzt die Inner Development Initiative an: Die Haltungsänderung muss in den einzelnen Menschen beginnen. Die breite und tiefe Beschäftigung mit den Inner Development Goals in den 5 Kategorien „Sein, Denken, In Beziehung treten, Kollaborieren, und Handeln“ soll zur Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele beitragen.
Unser Planet braucht jetzt eine andere Art von Führung als wir sie aus dem Industriezeitalter kennen. Es fängt mit dem Spüren der Natur und anderer Menschen an und sollte zu einem gewissen Verbundenheitsgefühl mit anderen oder sogar allen Wesen auf dem Planeten führen.
Kaum ein Mensch will absichtlich Missstände herbeiführen, aber wem sind die Auswirkungen des eigenen Handelns wirklich bewusst? Systemdenken kann helfen, sowohl kurz- als auch langfristige Aus- und Wechselwirkungen etwas besser zu verstehen.
Neue Erkenntnisse auf zwei Ebenen
Lernen hat für mich in diesen Tagen auf zwei Ebenen stattgefunden. Einerseits habe ich neue Tools kennengelernt bzw. bekannte Tools vertieft. Andererseits waren die Trainer in ihrem Umgang mit der Gruppe und ihrem Methodeneinsatz eine Inspiration.
Von den zahlreichen Denkwerkzeugen greife ich die drei heraus, die ich besonders typisch für Compassionate Systems Leadership gefunden habe.
Tool 1
Da gibt es zuerst als Überblickstool den dreibeinigen Stuhl (siehe Abbildung 1). Die Beine stehen für Aspiration, Reflektionsgespräche und Systembewusstsein. Wenn ein Bein fehlt, fällt der Schemel um.
Ohne kreatives Imaginieren einer besseren Umwelt kommt keine Verbesserung in Gang. Ohne Reflektion oder ohne tieferem Systemverständnis landen wir trotz guter Absicht schnell in Sackgassen.
Tool 2
Die Leiter der Verbundenheit
Das zweite Tool ist die „Leiter der Verbundenheit“ (siehe Abbildung 2), die mich anfangs verwirrt hat: Die Leiterstufen heißen von unten nach oben „Agape, neutrale Präsenz, Altruismus, kognitive Empathie, In-Gruppen-Empathie, Empathischer Stress und Emotionale Distanz“.
Wir können uns Gravitation zunutze machen, um zu tieferer Verbundenheit zu kommen, d.h. eher nach den unteren Stufen streben. Verwirrung kann ein Anzeichen von wirklichem Lernen sein. Ich konnte diese Idee nicht einfach einem schon abgespeicherten Konzept zuordnen. Am ehesten schien es mir noch zu einem buddhistischen Verständnis zu passen.
Agape, die allverbundene Liebe, werden wir vielleicht nicht erreichen, aber wir können eine neutrale Präsenz auch in schwierigen Situationen schaffen. Es braucht auch die höheren Stufen: Ein Chirurg sollte es aus Selbstschutz schaffen, sich emotional zu distanzieren.
Neutral statt empathisch
Auch in sich im Kreis drehenden Konflikten hilft manchmal Abstand. Empathischen Stress kann ich als Vater jüngerer Kinder gut nachvollziehen. Wenn meine 8-Jährige und mein 6-Jähriger lautstark miteinander streiten, erscheint es mir kurzfristig leichter einzufordern, dass sie damit aufhören, weil ich damit meine innere Spannung reduzieren kann. Aber langfristig helfe ich damit nicht.
In-Gruppen-Empathie kann zwar zu guter Zusammenarbeit im Team, im Unternehmen oder sogar im eigenen Land führen, gleichzeitig aber diejenigen ausgrenzen, die nicht zur Gruppe gehören. Ich nehme mir vor, mehr neutrale Präsenz, also das Aushalten von Spannung und Widersprüchen, zu praktizieren.
Tool 3
Kreative Spannung
Nun zu unserem dritten und einem einfacheren Tool (Siehe Abbildung 3): Dem Prinzip der kreativen Spannung. Ich wusste bereits, dass eine Vision den richtigen Herausforderungsgrad braucht. Etwas, das wir schon erreicht haben oder etwas das wir nie erreichen können, taugt nicht als Vision.
Interessant fand ich die Weiterführung des Gedankens: Wir können uns die Spannung zwischen Realität und Vision als Gummiband vorstellen. Wenn uns diese Spannung zu unangenehm wird, tendieren wir oft dazu, entweder die Ansprüche an unser Ziel zu reduzieren oder nicht die ganze Wahrheit über den Istzustand zu sagen.
Eine Energiequelle für Veränderung
Ein gutes Beispiel sind Nachhaltigkeitsziele einer Organisation. Wenn wir diese Spannung bewusst suchen und halten, dann zapfen wir damit die Energiequelle für Veränderung an. Dieses Prinzip der Kreativität findet sich im Theater als Drama, in der Musik als Tonus und in der griechischen Rhetorik. Insofern ist es keine neue Idee, aber wirkungsvoll, wenn wir Veränderungen anstreben.
Mich hat auch interessiert, wie Peter Senge als Mensch ist. Ich habe schon einige „Größen der Vortragsszene“ auch abseits der Bühne kennengelernt und bei manchen hatte ich den Eindruck, dass es ihnen teilweise schwerfiel, die vermittelten Botschaften selber zu leben. Das ist auch menschlich.
Peter Senge als Mensch
Am Morgen des dritten Tages gab es einen emotional ausgedrückten Widerstand einer Teilnehmerin, die den Nutzen des ganzen Seminars in Frage stellte. Peter Senge hätte trotz ihres am Vortag geäußerten Zweifels an der Aussage festgehalten, dass wir immer eine Wahl hätten und uns nicht von äußeren Umständen beeinflussen lassen müssten. Jetzt war ich neugierig. Wird er sich eventuell angegriffen fühlen und sich verteidigen oder es als Einzelmeinung stehen lassen?
Er hat nicht gleich reagiert, sondern andere Teilnehmer:innen zuerst sprechen lassen. Später ist er in Resonanz gegangen, hat sich entschuldigt, bedankt für die Lernchance und das mit einer Authentizität und Eleganz, die mich wirklich beindruckte. Seinen wesentlich jüngeren Co-Trainer hat er immer auf Augenhöhe behandelt und mehrmals war er als Mensch so gerührt, dass ihm die Tränen gekommen sind.
Mein Resume
Im Sinne von Marcus Aurelius hatte ich die Gelegenheit, 2 Großen unserer Zeit zu begegnen. Gerade die Kombination zweier Trainer aus unterschiedlichen Generationen passt zu den Herausforderungen unserer Zeit.
Auch wenn ich nicht alle der vorgestellten Zusammenhänge und Tools umgesetzt habe und ich mir auch nicht sicher bin, ob sich der Begriff Compassionate System Leadership auf breiter Basis durchsetzen wird, empfehle ich jeder Führungskraft, sich mit der Grundidee auseinanderzusetzen. Eine nachhaltigere Führungskultur würde uns und dem Planeten guttun.
Mag. Gunther Fürstberger
CEO | MDI Management Development International
Gunther Fürstberger ist Managementtrainer, Autor und CEO von MDI – einem globalen Beratungsunternehmen, das Lösungen für die Entwicklung von Führungskräften anbietet. Sein Hauptanliegen ist es, die Welt durch nachhaltige Führung besser zu machen. Er hat für Kunden wie ABB, Abbvie, Boehringer Ingelheim, DHL, Google, Hornbach, PWC und Swarovski gearbeitet. Seine Kernkompetenz ist Führung in der digitalen Transformation. Bereits im Alter von 20 Jahren begann er als Trainer zu arbeiten und war auch als Personalleiter in internationalen Konzernen tätig.