Standortbestimmung im Rahmen der agilen Führungskräfteentwicklung
Autoren: Josef Wegenberger, Oliver Wegenberger
Gesellschaft für Wirtschaftspsychologie und Organisationsdynamik
Versetzen wir uns in ein Unternehmen der 1980er Jahre. TECHNIK AG ist ein typisches Großunternehmen mit einigen tausend Mitarbeiter/innen. Die Auftragslage ist stabil, das Personal ist durch die Schul- und Berufsausbildung für die Aufgaben gut qualifiziert. Alle Führungskräfte sind „Meister ihres Faches“, haben im Wesentlichen das gesamte erforderliche Wissen und sind damit prädestiniert, in der jeweiligen Abteilung als „Vorgesetzte“ zu fungieren. Die Personalentwicklung beschränkt sich auf die Aus- und Weiterbildung und selbst diese bildet eher die Ausnahme, denn die Regel. Gespräche mit Mitarbeiter/innen sind anlassbezogen, strukturierte Mitarbeitergespräche finden in der Praxis faktisch nicht statt. Weiterbildungsveranstaltungen für ganz bestimmte Zielgruppen werden „verordnet“ und zentral gesteuert.
Mitte der 1980er Jahre wird – wenn überhaupt – der Weiterbildungsbedarf durch ausgefeilte Bildungsbedarfs-erhebung mittels Fragebogen an alle Führungskräfte erhoben. Die Personalabteilung wertet diese aus und erstellt ein vorläufiges Ausbildungsbudget. Daraufhin wird die Budgetplanung für das gesamte Unternehmen beschlossen; die Änderungen und Budgetkürzungen werden an die Unternehmensbereiche und Abteilungen rückgemeldet. Danach werden die konkreten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen geplant und bis Ende des Jahres durchgeführt. Die restlich geplanten Maßnahmen werden auf das nächste Jahr verschoben oder sind nicht mehr aktuell. Kurzfristiger Ausbildungsbedarf wird durch Umschichtungen gedeckt oder kann nicht realisiert werden.
Das Fallbeispiel ist konstruiert. Es zeigt jedoch den Zyklus von zwei bis drei Jahren von der Bildungsbedarfserhebung bis zur Umsetzung und Evaluierung.
Wechseln wir in die Gegenwart.
Unser Fallbeispiel – die TECHNIK AG ist immer noch erfolgreich am Markt tätig. Sie ist mittlerweile in zahlreiche Tochtergesellschaften aufgeteilt und kooperiert mit zahlreichen Partnerunternehmen und Start-ups.
Das Umfeld ist VUCA
- „Volatility“ [„Volatilität“ – „flüchtig/schwankend“]
- „Uncertainty“ [„unsicher“]
- „Complexity“ [„komplex“]
- „Ambiguity“ [„mehrdeutig“]
Das Jahr 2020 hat mit der COVID Pandemie die rasante Geschwindigkeit und Dynamik von veränderten und sich ändernden Rahmenbedingungen nochmals verstärkt.
Aussagen, wie „Speed kills“ und „die Großen werden nicht die Kleinen fressen, sondern die Schnellen die Langsamen“[1], sind keine Schlagworte [mehr], sondern Realität.
[1] In Anlehnung an Eberhard von Kuenheim [*1928] Vorstandsvorsitzender [1970-1993] und Aufsichtsratsvorsitzender [1993-1999] der BMW AG
Agile Arbeitsmethoden
rasche und flexible Zyklen im Zielmanagement [Vereinbarung – Delegation – Umsetzung – Überprüfung / Evaluierung], virtuelle Führung, Vernetzung etc. verändern die Arbeitswelt und damit das Teamworkmanagement auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Die TECHNIK AG hat das Performance-Management bereits auf Quartalszyklen umgestellt und die Abstimmungen erfolgen in „Daily standings“, wöchentlichen und monatlichen Teambesprechungen sowie Individualgesprächen zwischen Führungskraft und Teammitglieder.
Das Talent- und Kompetenzmanagement hinkt noch etwas nach und wählt noch die klassischeren Methoden einer Standortbestimmung – von einigen Ausnahmen und „Experimenten“ abgesehen – mittels Standardisiertem Mitarbeitergespräch und Assessment Center bzw. Potentialanalysen. Allen Verantwortlichen im Unternehmen ist jedoch bewusst, dass in Zukunft ein agiles Talent- und Kompetenzmanagement zum erfolgskritischen Faktor werden.
„Agiles und flexibles Vorgehen“ wird in der Praxis manchmal mit „Umsetzung ohne Planung verwechselt“.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Nur durch eine exakte Planung sowie eine zielorientierte und konsequente Vorgangsweise können die Vorzüge des agilen Managements genutzt werden.
Das Zielmanagement darf kein „einmaliger, singulärer Paukenschlag zu Beginn des Geschäftsjahres sein, sondern muss einen integralen Bestandteil im „daily business“ auf allen Ebenen darstellen.
Dies lässt sich ebenso auf eine agile Führungskräfteentwicklung anwenden.
Die Anwendung der verschiedenen, kleinteiligen Methoden der Kompetenzentwicklung, wie zum Beispiel Micro-Learning, Lern-Nuggets, e-learnings, Webinare, Intensivcoaching-Elemente etc. setzt jedoch eine kontinuierliche Standortbestimmung voraus. Diese umfasst die anforderungsrelevanten Kompetenzen [Persönlichen, Kommunikativen, Methodischen, Spezial-, Fach- und Management- Kompetenzen].
Der „Ruf“ nach punktgenauer Kompetenzentwicklung
liegt auch darin begründet, dass die Investitionskosten effizient eingesetzt werden sollen und der „return on investment“ zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgt.
Die Standortbestimmung ist die Grundlage für Empfehlungen zur Weiterentwicklung und klare Entwicklungszielvereinbarungen, welche – analog zu dem Zielperformance-Management – zum Beispiel quartalsweise evaluiert werden:
Die Grafik zeigt den Regelkreis des agilen Kompetenzmanagements, mit dem Ausgangspunkt der Standortbestimmung in Form der agilen Kompetenzevaluierung. Das Ergebnis des Kompetenz-Soll/Ist-Vergleichs mündet in Empfehlungen zur Weiterentwicklung. Diese sind in konkrete Lernziele umzuwandeln, welche wiederum die Basis für die Gestaltung der Kompetenzentwicklung darstellen.
Wesentlicher Baustein des Kontinuierlichen Lernprozesses
stellt die Erfolgskontrolle und Wirksamkeitsüberprüfung der Lerninhalte dar. Die Methoden dazu umfassen Selbsteinschätzungen, Self-Assessments, spezifische Testverfahren, Arbeitsproben bis hin zu [Zwischen-]Prüfungen im Rahmen von Lehrgängen. Das Feedback zwischen Führungskraft und Teammitglied ist die Ausgangsbasis für die weitere Kompetenzevaluierung und der kontinuierliche Lernprozess kann erneut starten.
Die Rolle der Führungskraft und ihre Ziele in diesem Kompetenzentwicklungsprozess sind auf die agile Führungskräfteentwicklung zu adaptieren:
- „Stärken“ der Mitarbeiter/innen „stärken“
- „Schwächen“ der Mitarbeiter/innen „schwächen“ [sprich: Verbesserungspotentiale heben und Defizite neutralisieren]
- Mitarbeiter/innen so zu entwickeln, dass das Ist-Kompetenzprofil mit dem Soll-Kompetenzprofil idealerweise übereinstimmt
- Verstärkte Übernahme von Verantwortung durch die Kompetenzentwicklung
- Erhöhung der Flexibilität
- Steigerung der Qualität
- Sicherstellung der teamrelevanten Kompetenzen zur Erreichung der vereinbarten Teamziele
Die Selbstverantwortung der Mitarbeiter/innen für die eigene Entwicklung gewinnt an Bedeutung:
Das Rollenbild der Teammitglieder entwickelt sich „von Mitarbeiter/innen zu Mitunternehmer/innen“ weiter. Dies bedeutet für den Bereich der Kompetenzentwicklung eine verstärkte Selbstverantwortung der eigenen Entwicklung und Karriere. Kontinuierliches Lernen wird zum Selbstverständnis für alle Mitarbeiter/innen [werden müssen].
Ziele der Mitarbeiter/innen im Rahmen der eigenen persönlichen Entwicklung:
- Eigene Talente, Stärken erkennen, fördern und umsetzen
- Grundlagen für die eigene Karriereentwicklung
- Flexibilität und Mobilität
- Sicherstellung der jobrelevanten Kompetenzen zur Erreichung der vereinbarten Ziele
- Anpassung der jobrelevanten Kompetenzen und Qualifikation an die Erfordernisse des Aufgabengebietes
- Übernahme von erweiterter Verantwortung, mehr Entscheidungs- und Handlungsbefugnisse
- Sicherung und Steigerung des Lebensstandards