Servant Leadership – die Führungskraft als Diener
»Servant Leadership« ist ein Konzept von Robert Greenleaf, das die Führungskraft als Diener für die Mitarbeitenden bezeichnet. Worum es konkret bei diesem Modell geht und welche Stärken es hat, liest du in diesem Artikel.
In Hermann Hesse’s Morgenlandfahrt erlebt ein spirituell Suchender, wie der verschwundene Diener sich im Nachhinein als wahre Führungskraft entpuppt. Diese Geschichte inspirierte Robert Greenleaf sein Lebenswerk – das Konzept der Führungskraft als Diener – zu entwickeln. Er trat damit eine Bewegung los. Eine Reihe bekannter Autor:innen und CEOs von Firmen wie z.B. Starbucks, Nordstrom und SAS folgten ihm mit der Gestaltung und dem Praktizieren von dienender Führung.
Servant Leadership – Trick oder Mission?
Eine Talent-Management-Verantwortliche eines großen internationalen Konzerns sagte mir eines Tages: »Ich glaube nicht an die ehrliche Absicht dienender Führung. Mir scheint es eher ein Motivationstrick zu sein. Schlussendlich verdienen die ›Servant Leaders‹ ein Vielfaches mehr als die Mitarbeitenden, denen sie anscheinend dienen.
Trick oder Mission? Manipulierte Motivation zu Höchstleistungen oder die Revolution der Arbeitswelt, die die Hierarchiepyramide auf den Kopf stellt?
Führungskräfte, insbesondere CEOs, sollten sich die Frage stellen, welche Führungskultur sie in der eigenen Organisation haben und haben wollen.
Der Zweck von Führung
Wozu eigentlich? Das ist eine gute Frage, um eine Reflexion zur Entwicklung der eigenen Führungskultur zu beginnen. Die Wozu-Frage hängt eng mit der Für-Wen-Frage zusammen. Welchen Stakeholdern einer Organisation wird Priorität gegeben? Den Anteilseignern, den Mitarbeitenden, den Kund:innen? Kund:innen können im weiteren Sinn auch bestimmte Gesellschaftsgruppen oder sogar Teile der Natur sein, für die die Organisation einen Mehrwert schaffen will.
Fokus auf die Mitarbeitenden
Dienende Führung wird meist mit Fokus auf die Mitarbeitenden in Verbindung gebracht. Greenleaf sieht u.a. das Wachstum der Mitarbeiter:innen als Kennzeichen von dienender Führung. »Der Gemeinschaft dienen« finden wir ebenfalls als häufig erwähntes Ziel. Und dann gibt es da noch den Aspekt, die Mitarbeiter:innen durch Dienen zu Top-Leistungen zu bringen. Mit dem letztgenannten fühlen sich verständlicherweise auch die Anteilseigner wohl.
Die gewünschte Führungskultur leitet sich vom Zweck der Organisation ab. Wenn der Unternehmenszweck Profitmaximierung lautet, dann werden die »Human Resources« tendenziell als Mittel gesehen. Und Dienende Führung wird folglich ein nachgelagertes Mittel sein, um den Zweck »motivierte, leistungsstarke Humanressourcen« zu fördern.
Widersprüche kommen auf
Die auf den Kopf gestellte Pyramide eignet sich zwar gut, um eine seit Jahrtausenden andauernde Ausbeutungskultur von Mächtigen gegenüber Unterworfenen zu hinterfragen, aber konsequent zu Ende gedacht kommen Widersprüche auf. Institutionalisierte Führung geht fast immer mit Macht einher, z.B. mit dem Recht, positive und negative Sanktionen zu verhängen. Dadurch können Organisationsziele eher erreicht werden und oftmals profitieren auch die Geführten davon, z.B. durch höhere Sicherheit.
Allerdings zeigt die Menschheitsgeschichte bis zum heutigen Tag, dass Macht sehr häufig vor allem zum eigenen Vorteil genutzt wurde. Und damit die privilegierte Position der Führungsgruppe aufrecht bleibt, wurden subtile und brutale Unterdrückungsmechanismen benutzt.
Zum Wohle der Allgemeinheit
Die umgekehrte Pyramide drückt somit auch die Sehnsucht aus, dass Führung nicht ausbeutet, sondern unterstützt, dass die Führungskraft andere vor sich selbst stellt. Seit zumindest 2000 Jahren gibt es Herrschende, die sich als Diener:innen bezeichnet haben, von Mark Aurel über Josef dem II, Friedrich dem Großen bis hin zu Queen Elisabeth. Damit haben sie zum Ausdruck gebracht, wie sie ihr privilegiertes Geburtsrecht interpretieren, um zum Wohle der Allgemeinheit zu regieren. Auch wenn sie ihre Schlösser nicht den Armen geschenkt haben, dürften sie mit dieser dienenden Haltung mehr für das Wohlbefinden des Volkes gesorgt haben als absolutistische Herrscher mit einer »Der Staat bin ich – Haltung«.
Gerechte Belohnung
Es gibt auch gute Argumente, warum ein radikales Umdrehen der Herrschaftsverhältnisse und -privilegien nicht gerecht wäre: Wer sich für Ziele überdurchschnittlich einsetzt, von denen andere profitieren, dem sollte auch eine Belohnung zustehen. Dieser Einsatz kann sich auf Zeit, Talent und Ressourcen beziehen. Ob das allerdings rechtfertigt, dass ein CEO in Deutschland 147 x und in den USA 300 x so viel verdient wie typische Arbeiter, darf hinterfragt werden.
Darüber hinaus gibt es noch die rechtliche Perspektive mit der gesetzlich verankerten Geschäftsführer-Haftung. Jemand muss für Fehlentscheidungen auch persönlich geradestehen und dass ist im Normalfall der im Handelsregister eingetragene Geschäftsführer. Zahlungsausfälle oder Unfälle können Haftungen nach sich ziehen. Wer trägt dieses Haftungsrisiko, wenn wir die Pyramide umdrehen? Es wird wohl schlussendlich bei Einzelpersonen bleiben und diejenigen müssen dann auch die Möglichkeit haben, Entscheidungen umzusetzen.
Wir können die Pyramide verflachen, wir können sie mit sich selbstabstimmenden Netzwerken ergänzen, wir können eine Empowerment-Kultur entwickeln; Mitarbeitende und Führungskräfte können sich gegenseitig servicieren, aber persönliche Letztverantwortung wird bestehen bleiben.
Dienende Führung in Unternehmen
Unternehmen, die mit Servant Leadership in Verbindung gebracht werden, sind z.B. Nordstrom, Fedex, Starbucks, Southwest Airlines (Herb Kelleher), SAS und Marriott. Sehen wir uns an, worauf diese Unternehmen jeweils wertlegen. In den meisten Unternehmen wird die positive Auswirkung von gut behandelten Mitarbeiter:innen auf guten Kundenservice gesehen:
- so So ist z.B. der erst genannte Unternehmenswert bei Marriott: »Put people first«.
Auch bei Nordstrom wurde schon vor 120 Jahren sehr viel Wert auf Kund:innenservice gelegt. »Tue alles was nötig ist, um Dich um den Kunden zu kümmern«. (John Nordstrom 1901). Diese Haltung wurde über Generationen in der Unternehmensfamilie weitergegeben und mit Demut in der Mitarbeiter:innen-Service-Orientierung angereichert. - Fedex hat eine Servante Leadership Kultur aufgebaut. FedEx ist davon überzeugt, dass engagierte Mitarbeitende – Personen, die den Organisationszielen vertrauen und die ein starkes Bedürfnis haben, einen Beitrag zu leisten – den Organisationsplan umsetzen und letztendlich den Erfolg der Organisation sicherstellen werden.
- Bei Starbucks betont Langzeit CEO Howard Schultz den Unternehmenszweck: »Servant Leadership bedeutet, einem höheren Zweck zu dienen, und wenn dieser höhere Zweck von allen in der Organisation erkannt wird, dann ist tatsächlich jede:r ein:e Diener:in dieses Zwecks.« Die Organisationskultur bei Starbucks beschreibt Kelly Creighton mit: »Eine Kultur der Zugehörigkeit, Inklusion und Vielfalt.« Darüber hinaus stellt er seine Mitarbeitenden immer an die erste Stelle und ermutigt jede:n, in Führungsrollen innerhalb des Unternehmens hineinzuwachsen. Bei Starbucks werden die Mitarbeitenden ermutigt, starke Beziehungen zueinander aufzubauen, offen zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren. Und die Mitarbeiter:innen haben die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich an ihre Vorgesetzten zu wenden. Letztendlich vertritt Starbucks die Ansicht, dass »wie Sie ihre Mitarbeitenden behandeln, behandeln Sie so Ihre Kund:innen«.
- Jim Goodnight, der Gründer und CEO von SAS sagt »Behandeln Sie Mitarbeitenden so, als würden sie etwas bewirken, und das werden sie auch.
- Bei Southwestern Airlines wird vor allem der Empowerment-Gedanke hochgehalten: Colleen Barrett, die ehemalige Präsidentin von Southwest Airlines, erklärte: »Unsere gesamte Führungsphilosophie ist ganz einfach: Behandeln Sie Ihre Mitarbeitenden richtig und es werden gute Dinge passieren.« Sie geht davon aus, dass Southwest Airlines Richtlinien, Verfahren, und Regeln erstellt hat, aber letztendlich deren Mitarbeitenden befähigt, bei Bedarf ihren eigenen gesunden Menschenverstand und ihr gutes Urteilsvermögen einzusetzen. Sie vertraut darauf, dass ihre Mitarbeitenden das Richtige tun, wenn es nötig ist, und tadelt sie nicht dafür. Wenn beispielsweise ein:e gestrandete:r Kund:in ein Hotelzimmer benötigt, sind die Mitarbeiter:innen befugt, ihm:ihr zu helfen, wenn sie können. Und im Umgang mit der Öffentlichkeit werden die Mitarbeiter:innen ermutigt, die besten Lösungen und Ansätze zu finden, die für die jeweilige Situation sinnvoll sind.
Schlussfolgerung
Der Begriff »Dienende Führung« könnte im Sinne von Kontinuität und Ausschließlichkeit missverstanden werden. D.h. dass die Führungskraft immer als Diener:in der Mitarbeitenden handelt und es somit keinen Raum dafür gäbe, dass sich die Führungskraft von den Mitarbeitenden unterstützen lässt. Dies erscheint einseitig und unrealistisch. Robert Greenleaf hat seine erste Veröffentlichung auch »The servant as leader« genannt und wollte damit betonen, dass der Wunsch zu dienen, vor dem Wunsch zu führen kommen sollte.
Gegenpol
Mit der dienenden Führung wurde ein Gegenpol zu einem traditionellen, von oben herab herrschendem Selbstverständ- nis der Führungskraft geschaffen. So wie die kommunistische Gegenbewegung zum Industriezeitalter-Kapitalismus noch nicht das finale Kapitel der Wirtschaftsgeschichte darstellte, bietet sich Servant Leadership auch eher als Denkrichtung und weniger als Endstation einer Führungskultur an. Wenn wir Führen und Dienen als Polarität verstehen, dann ermöglicht dies, ein für die Situation passendes Gleichgewicht in der Interaktion zwischen Mitarbeiten- den und Führungskraft zu finden.
Ähnlich gelagert wäre das Missverständnis, dass Dienen in eine Richtung geht. Nämlich, dass nur Führungskräfte ihren Mitarbeitenden dienen sollen. Transaktionsanalytisch gesehen wäre das eine Umkehr der Eltern-Ich zu Kindheits-Ich Beziehung. Traditionell wurde Führung meist patriarchalisch und manchmal matriarchalisch gesehen, d.h. die Führungskraft hat ähnlich wie Eltern für die Kinder zu sorgen, kann aber Gehorsam einfordern.
Die Umkehr der Eltern-Kind-Beziehung funktioniert nicht wirklich. Konstruktiver wäre die Beziehung zweier Erwachsener, die sich gegenseitig unterstützen. Vor allem Adelige und Reiche haben Dienende. Der Begriff Diener:in deutet auf eine untergeordnete Stellung hin. Diese könnte in einem zeitgemäßen Führungsverständnis aufgelöst werden: Mitarbeitende und Führungskräfte unterstützen einander gegenseitig, teilweise auf unterschiedliche Art und mit unterschiedlichen Mitteln, aber auf Augenhöhe, mit gegenseitiger Wertschätzung.
»Wenn Du zuerst Deine Mitarbeiter unterstützt, unterstützen sie Dich auch.«
Diese Anwendung des Reziprozitätsprinzips wird oftmals die gewünschte, freiwillige Unterstützung der Mitarbeitenden für die Führung bringen. Aber es gibt eine anhaltendere Motivation als dieser psychologische Tauschhandel: Wenn Führungskräfte und Mitarbeiter:innen aus innerer Überzeugung gemeinsame Ziele oder eine gemeinsame Mission verfolgen und sich dabei nach ihren besten Kräften gegenseitig unterstützen.
Schlussendlich ist es die Absicht der dienenden Führungskraft, die den Unterschied macht: Ist ihr das Wohl anderer mindestens so wichtig wie ihr eigenes oder will sie Mitarbeiter:innen nur das Gefühl geben, serviciert zu werden, damit sie härter arbeiten?
Der Begriff »Dienende Führung« ist für viele irreführend
Der Begriff »Dienende Führung« ist für viele irreführend. Aber zweifellos ist es eine der wichtigsten Aufgaben von Führungskräften, ihre Mitarbeitenden zu unterstützen und das beginnt mit Wahrnehmen und Zuhören, was die Mitarbeiter:innen von der Führungskraft brauchen.
Zusammenfassend könnte die Hauptbedeutung von Dienender Führung als Pendelschwung weg von autokratischer und ausbeutender Führung gesehen werden, aber nicht als finales Führungskonzept. Dafür eignet sich eher die partnerschaftliche Kooperation auf Augenhöhe zwischen Mitarbeiter:innen und Führungskraft, um die gemeinsam geteilte Unternehmensmission zu verfolgen.
Quellen:
• https://www.amazon.de/Spiele-Erwachsenen-Psychologie-menschlichen-Beziehungen/dp/3499613506
• https://www.amazon.de/Die-Psychologie- %C3%9Cberzeugens-Robert-Cialdini-ebook/ dp/B01MUDPFCC
• https://www.marriott.com/about/culture- and-values/history.mi
• https://hrdailyadvisor.blr.com/2018/06/01/5- real-life-brands-embody-servant-leadership/ • https://www.pallikkutam.com/edu-news/servant-leadershipstories#:~:text=FedEx%20 believes%20that%20engaged%20employe- es,and%20ultimately%20ensure%20organizational%20success.
Author - Mag. Gunther Fürstberger
CEO | MDI Management Development International
Gunther Fürstberger ist Management-Trainer, Buchautor und CEO von Metaforum und MDI – einem globalen Beratungsunternehmen, das Lösungen für die Entwicklung von Führungskräften anbietet. Sein Hauptinteresse ist es, die Welt durch gute Führung zu einem besseren Ort zu machen. Er arbeitete für Kunden wie ABB, Abbvie, Boehringer Ingelheim, DHL, Hornbach, PWC und Swarovski. Seine Kernkompetenz ist die Führung in der digitalen Transformation. Eigene Führungserfahrung sammelte er u.a. als HR-Manager von McDonald’s Zentraleuropa/Zentralasien. Im Alter von 20 Jahren begann er als Trainer zu arbeiten.