Wer auf der Suche nach Sinn im eigenen Tun ist und gerne am eigenen, möglichst positiven Impact auf Gesellschaft und Welt arbeitet, findet in Perrine Schober, Gründerin und Geschäftsführerin von Shades Tours ein unglaublich pragmatisches und authentisches Role Model. Im Leadership Impact Talk spricht sie über den Einfluss der New Generations auf den Sinn in Unternehmen, die Verantwortung jedes Einzelnen, ihrem Zugang zu Mitleid und Grenzen-Ziehen sowie ihre ganz persönliche Art und Weise der Führung.
Über die Interviewpartnerin
Perrine Schober ist Social Entrepreneur und Geschäftsführerin von SHADES TOURS, einem Unternehmen, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat, sozialpolitisch zu bilden und Licht auf gesellschaftliche Schattenseiten wie Armut und Obdachlosigkeit, Flucht und Asyl und Sucht und Drogen zu werfen. SHADES TOURS wurde noch im Gründungsjahr 2015 für den Social Business Award „Ideen gegen Armut 2015“ und den „Social Impact Start Award“ des Wiener Impact Hub nominiert. Die Touren, die das Unternehmen in Wien organisiert, sind mehrfach ausgezeichnet, mehr als 30.000 Menschen haben in den letzten 3,5 Jahren bereits mitgemacht. Und uns gibt sie Antworten auf Fragen über Sinn und Verantwortung in der Führung, Leadership Impact und ihre ganz persönliche Mission.
Du bist Social Entrepreneur: Was bedeutet das genau?
Ein Social Business ist im Endeffekt ein Unternehmen, das im Gegensatz zu herkömmlichen Unternehmen – welche grundsätzlich nur ihre Finanzen überwachen – zusätzlich zum Finanzmonitoring auch den Impact misst und monitort, den das eigene Unternehmen ausübt. Anhand dieses zusätzlichen Monitorings kann man gut erkennen, dass es sich bei einem Social Business um ein Hybridunternehmen handelt. Das heißt, auf der einen Seite ist es ein Unternehmen, das profitabel sein muss, um am Markt bestehen zu können. Auf der anderen Seite schauen wir aber natürlich auch die ganze Zeit, welche Wirkung wir erzielen, wie wir sie erzielen möchten, ob es weiterhin so geht und wo wir uns verbessern können.
Sollte nicht ohnehin jedes Unternehmen versuchen, einen nachvollziehbar positiven Beitrag zu leisten, zum Beispiel im sozialen Bereich?
Ich finde, jedes Unternehmen, das Mitarbeiter hat, agiert bereits im Sozialen. Man darf nicht vergessen: Es ist eine große Herausforderung, eine Geschäftsidee zu haben, ein Unternehmen zu gründen, Mitarbeiter einzustellen, die Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen und so weiter. Das ist ja auch ein wirtschaftlicher Impact, der dadurch entsteht.
Ich finde die Frage aber schon spannend und glaube, dass mit der neuen Generation Z noch einmal ein zusätzlicher Drive in die Unternehmen kommt, der sie dazu bewegt, sich noch einmal mehr Gedanken über ihren Impact zu machen und sich noch einmal mehr mit ihrer Wertschöpfungskette auseinanderzusetzen. Und diesen Trend und Wandel finde ich ziemlich spannend für die Zukunft. Eben weil der/die MitarbeiterIn so auch das Unternehmen mit-pusht und die neuen Generationen, die dann auch in der Geschäftsführung sind, das entsprechend weitertragen. Meiner Meinung nach ist das ein ganz interessanter Ansatz und eine tolle Zeit, in der wir uns gerade befinden.
Vom Unternehmen zum Individuum: Welche Verantwortung hat jede/r einzelne von uns?
In was für einer Gesellschaft möchten wir leben und wie soll sie aussehen? Diese Frage hat bei mir etwas ausgelöst und mich zur Erkenntnis gebracht, dass die Gesellschaft bei einem selbst startet und jeder die Möglichkeit hat, mitzuwirken. Jeder hat Fähigkeiten und Kenntnisse, ein Netzwerk das er oder sie einsetzen kann. Und deswegen, glaube ich, beginnt die Gesellschaft bei einem selbst. Und ich glaube auch, dass besonders die neuen Generationen fühlen, dass sie Teil dieser Gesellschaft sind, Teil dieses Wandels sein möchten und dass das Thema Social Entrepreneurship deswegen an Kraft gewonnen hat.
Jeder kann so seinen Teil beitragen. Und es muss nicht immer etwas Großes sein. Man muss auch kein/e GründerIn oder Unternehmer/In sein, um Verantwortung zu übernehmen und die Gesellschaft mitzugestalten. Es gibt ganz einfache Verhaltensweisen, die man adaptieren kann. Als Beispiel: Vegetarier, die sich wegen dem Tierschutz dazu entscheiden kein Fleisch zu konsumieren. Wenn nur ein einziger von vielen auf Fleisch verzichtet, dann sind die Auswirkungen gering. Aber umso mehr es werden, umso weniger gibt es Tierhaltung, umso weniger gibt es Tierleid. Jede/r einzelne macht im Gesamten dann viel aus.
Auf welche Verhaltensweise setzt du im täglichen Miteinander?
Hier muss ich sagen, dass ich nicht gedacht hätte, jemals Unternehmerin zu werden und MitarbeiterInnen zu haben. Also das heißt, ich bin überhaupt nicht gecoacht und bin überhaupt nicht eingelesen in diese Materie oder taktisch und strategisch veranlagt im Bereich Mitarbeiterführung. Ich habe zwar alleine ein Unternehmen gegründet, bei dem es um eine Dienstleistung geht aber wir sind nur zusammen gut. Mich gibt es ohne die Guides (Anm. betroffenen Menschen, die im Rahmen der Shades Tours durch die Stadt führen) nicht, es gibt die Guides ohne mich nicht und das heißt, so entsteht hier eine Co-Dependency.
Bei uns herrscht auch eine sehr familiäre Atmosphäre. Die Guides, die zu uns kommen, kommen normalerweise aus sehr prekären Lebens- und Wohnsituationen und sind hoffnungslos, vielleicht sogar depressiv oder leiden unter Existenzängsten. Ich glaube, das Wichtigste, das sie hier bei mir erfahren, ist Wertschätzung, aber ohne, dass es bemitleidend ist, ohne dass sie das Gefühl haben, ein Bittsteller zu sein. Sie wissen: Shades Tours ist ein Unternehmen, es ist Arbeit und es ist professionell. Sie können sich so abseits ihrer aktuellen Lebensumstände wieder in eine neue Rolle einfühlen. Und ich glaube, das ist etwas, das ihnen wieder Hoffnung gibt, das wieder Selbstvertrauen gibt, das wieder Glück bringt.
Das heißt, es geht Dir darum, deine MitarbeiterInnen aufzubauen?
Genau. Also auf der einen Seite geht es natürlich um den finanziellen Aufbau, auf der anderen Seite aber auch um den persönlichen Aufbau bis hin zu einer Stabilisierung der Lebensverhältnisse.
Siehst du es als deine Aufgabe jedem einzelnen zurück in eine stabile Lebenssituation zu verhelfen?
Grundsätzlich ja. ABER: meine Aufgabe hört auch irgendwo auf. Obwohl sie alle aus sehr schwierigen Lebenssituationen kommen, hat kein einziger jemals Mitleid von mir gefordert. Sie schätzen die Arbeitsmöglichkeit und, dass ich ihre Situation kenne. Das heißt, ich kann natürlich auch viel einfühlsamer und viel verständnisvoller sein, ihnen Zeit geben und genau das schätzen sie auch. Genauso wie die Tatsache, dass ich oder meine Kollegin, die Sozialarbeiterin ist, uns natürlich auch regelmäßig mit ihnen hinsetzen. Und dass wir sagen: „Okay, gut, wo bist du jetzt, wo möchtest du hin? Was sind die Steine auf deinem Weg, wie können wir die wegräumen? Woran ist zusätzlich zu arbeiten?“ Wenn sie bei SHADES TOURS arbeiten, arbeiten sie nicht nur an den Touren, sondern auch an sich selbst und da helfen wir ihnen dabei.
Ist es schwierig für dich, dich abzugrenzen?
Nein. Ich glaube, man bekommt irgendwann einmal Routine. Aber ich glaube auch, dass die Guides wissen, wie viel ich machen kann und was in meinen Zuständigkeitsbereich fällt. Es ist besonders wichtig, dass sie nicht vergessen, dass sie selbst die Verantwortung für ihr Leben tragen. Also, dass nicht ich für ihr Leben verantwortlich bin, sondern ich dabei bin, um ihnen eine Stütze zu geben, die sie annehmen können und auch sollen. Aber sie wissen auch, dass sie es eigentlich sind, die kämpfen müssen. Das Kämpfen kann ich nicht für sie übernehmen.
Thema Mitleid: Wie sinnvoll oder produktiv ist dieser Ausdruck, dieses Gefühl, eigentlich?
Ich glaube, ich sehe das recht pragmatisch ;-). Ich habe in meinem Leben schon sehr starke Armut gesehen, wenn auch nicht in Wien. Es ist etwas anderes, wenn man in Indien oder anderen von Armut geprägten Ländern ist. Dort wird einem bewusst, dass man nicht einmal weiß, wo man eigentlich anfangen soll zu helfen. Und hier in Wien habe ich aber eine Möglichkeit gesehen.
SHADES TOURS bietet den Betroffenen eine Option und die können sie annehmen oder eben nicht. Es ist nicht Mitleid, das ich habe, sondern vielmehr die Motivation, die sich aus der Möglichkeit ergibt einer Person in einer schwierigen Situation zu helfen. Denn dafür sind solche Situationen da: Um gemeistert zu werden. Und es ist wichtig, dass die Betroffenen dieses positive Denken mit reinbringen und sich sagen: „Okay, gut – ich probiere das jetzt Mal“ und aktiv werden, auch wenn es einfacher ist, sich gehen zu lassen und aufzugeben. Und es ist wirklich schwer, zu kämpfen. Vor allem, wenn es auch noch eine/n ChefIn gäbe, die einen voller Mitleid ein bisschen mit runterzieht. Wichtig ist, dass der/die Vorgesetzte einen auch positiv animiert und ihnen einen möglichen Weg aufzeichnet, dann kommen sie selbst und sagen: „Okay, wenn sie glaubt, dass das machbar ist, dann schaffe ich das auch“
Zum Kämpfen braucht man Kraft: Wie fokussiert man sich als Führungskraft auf die Stärken von Menschen, statt in der toughen Business-Welt auf Fehlern oder Unzulänglichkeiten herumzureiten?
Als Unternehmen oder GeschäftsführerIn möchte man ja, dass die Arbeit den eigenen Mitarbeitern entweder Spaß macht oder zumindest leichtfällt. Und man möchte nicht die falsche Person an der falschen Stelle haben, weil viel Zeit und somit auch Geld kostet. Daraus ergibt es sich dann logisch, dass Mitarbeiter die Tasks übernehmen, die ihnen leichtfallen, die sie interessieren und die sie im Endeffekt auch glücklich machen. Dafür muss man eben beobachten, wer sich wo leichttut, was wen interessiert und diese Personen dann diesen Erkenntnissen nach richtig einteilen und sich Zeit nehmen für die Einschulung, bis es eben zu keinem Fehler mehr kommt. Wenn ein Mitarbeiter einen Fehler macht, ist mein erster Reflex mich zu ärgern, aber der zweite dann gleich zu überlegen, wie dieser Fehler passieren konnte und ob es nicht einfach daran lag, dass ich meine Vorstellung nicht gut genug kommuniziert habe oder nicht gut genug eingeschult habe. Meist liegt es nicht an einem allein.
Und was sind deine eigenen Stärken?
Ich tue mich zum Beispiel leichter mit Personen Kontakt aufzunehmen. Das Netzwerken ist für mich nicht so schwer wie vielleicht für andere meiner Kollegen. Viel leichter fällt es mir aber, meine Schwächen aufzuzählen. Um mir meiner Stärken trotzdem bewusst zu werden, stelle ich mir konkrete Personen vor und frage mich dann, was mir im Vergleich zu dieser Person leichter fällt. Und ob es jemanden gibt, der meine Schwächen ausgleichen kann und umgekehrt. Beispielsweise haben wir eine Mitarbeiterin, die im Gegensatz zu den anderen einfach detailgetreuer ist und deswegen immer bevor ein Dokument freigegeben wird, eine Rechtschreibprüfung von ihr durchgeführt wird. Die anderen müssen nicht die Helden in der Rechtschreibung sein, denn diese eine Kollegin ist es und das ist auch absolut in Ordnung, denn jeder hat seine Stärken wo anders. Man sollte einfach das Bewusstsein dafür haben und sich auch eingestehen können, dass es Bereiche gibt, wo andere einfach besser sind.
Wofür möchtest Du Deine Stärken einsetzen? Was möchtest du erreicht haben, wenn du in vielen Jahren auf dein Leben zurückblickst?
Sehr schön wäre es, wenn ich am Ende meines Lebens sagen könnte: „Ich habe die Hauptzeit meines Lebens mit einer Arbeit verbracht, die ich wirklich sehr gerne gemacht habe„. Eine Arbeit, wo ich mich wirklich innig gefreut habe, dort meine Arbeitszeit, meine Arbeitskraft und mein Wissen anzubringen. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum gerade sehr viele Menschen eine gewisse Sinneskrise haben: Sie sind auf der Suche nach einem Job, der sie mit ihren Vorstellungen und Werten verknüpft.
Was ist also dein Rat für alle Sinnsucher da draußen?
Ich glaube, man muss sich einfach einmal bewusst werden: „In welchem Bereich würde ich denn gerne arbeiten und welche Tätigkeiten würden mir gefallen?“ Diese Tätigkeiten können dann mit dem Angebot auf dem Arbeitsmarkt und den bestehenden Unternehmen verlinkt werden.
Oder wenn man bereits in einem Unternehmen tätig ist und auch bleiben möchte, kann man sich überlegen, was man denn passenderweise verändern oder beisteuern könnte und diese Ideen der Geschäftsführung vorlegen. Ich glaube, die meisten GeschäftsführerInnen freuen sich über Inputs von den MitarbeiterInnen und wer weiß, vielleicht kreiert man sich mit genau solchen Inputs eine neue Stelle intern und kann sich so verwirklichen? Also ich glaube, dass Kommunikation hier sehr wichtig ist.
Und wie geht es mit Shades Tours weiter?
Jetzt gerade haben wir eine neue österreichische Stadt in Österreich erschlossen und SHADES TOURS nach Graz gebracht. Unser Ziel ist es, die Marke weiterzubringen, neue Destinationen zu entwickeln und so noch mehr Impact zu generieren. Ich fände es toll, wenn wir bis Ende nächsten Jahres Graz gut implementieren konnten und noch in eine weitere österreichische Stadt starten könnten. Und wenn das gut funktioniert auf der nationalen Ebene, könnte man es auch auf eine internationale Ebene ausweiten und hin zum Social Franchise System entwickeln.
Herzlichen Dank, liebe Perrine und viel Erfolg für Dich und Shades Tours!