Eva Ayberk ist internationale Expertin und Beraterin für Organisationsdesign und unterstützt Führungskräfte, Teams und Organisationen bei ihrer Entwicklung. Sie ist erfolgreiche Buchautorin und – wie wir finden – eine fantastische Partnerin für alle DigitalisierungssurferInnen da draußen und alle, die es noch werden wollen.
Mit ihrer Arbeit bewegt sie Menschen, Teams und Organisationen dazu, sich selbst zu bewegen. Im MDI Netzwerk kommt sie gerade an – der perfekte Grund für uns mit ihr ins Gespräch zu gehen: Über Anforderungen an und Erfolgsstrategien von Führungskräfteentwicklung und Coaching heute und Ihre ganz persönlichen Erfahrungen, Learnings, Tipps und Trick für erfolgreiches Führen im Angesicht der Disruption.
Wir leben in einer dynamischen und sich immer schneller verändernden Welt. Die Digitalisierung erfasst mittlerweile fast alle Bereiche unseres Lebens. Wie müssen Führungskräfte agieren, um nicht von der digitalen Disruption erschlagen zu werden?
Die Erkenntnis, dass sich Führung und Steuerung von Unternehmen grundlegend verändert ist ein erster wichtiger Schritt. Danach zu handeln heißt, sich selbst nicht zum Flaschenhals zu machen, durch enge Kontrolle und Reporting. Vielmehr gilt es ein Führungs- und Steuerungssystem zu entwickeln für rasche Entscheidungen und damit schnelle Anpassung an Veränderungen. Damit einher geht die Entwicklung von MitarbeiterInnen und Teams hin zu mehr Eigenverantwortung. Führung kann sich somit stärker verteilen. Und damit daraus nicht Beliebigkeit wird, braucht es eine starkes Zukunftsbild. Wo wollen wir prinzipiell hin und warum? Das sind die Fragen, die sich jede Führungskraft stellen sollte. Die Antworten darauf helfen, in einer bewegten Welt Orientierung zu geben.
Und welche Eigenschaften müssen TrainerInnen und Coaches mitbringen, um Coachees erfolgreich im digitalen Wandel zu begleiten?
Ich würde sagen Bereitschaft zur Selbstreflexion und Offenheit für neue Entwicklungen sind sehr wichtige Eigenschaften für Trainer und Coaches. Sie sollen immer wieder radikal hinterfragen, ob so, wie sie selbst arbeiten noch zeitgemäß ist. Digitalisierung sollten sie nicht nur als Konzept aus dem Buch kennen sondern sich mit dieser Entwicklung auch praktisch auseinandersetzen. Dazu müssen sie keine Techies werden. Aber sie müssen verstehen, welche Dynamiken damit zusammenhängen und wie sich das anfühlt, damit umzugehen.
Und im Führungskräftetraining: Was macht hier den Erfolg aus?
Wir Führungskräfte sind heute mehr denn je gefordert, eingefahrene Denk- und Handlungsmuster zu hinterfragen. Das braucht zum Beispiel bewusst Raum für Irritation und Reflexion. Und es führt weg von inhaltlich überladenen oder gar schulisch anmutenden Standardtrainings. Ich denke erfolgreiches Training braucht heute vor allem Simulation, immer wieder Reflektion und intensives Feedback von TrainerInnen aber auch von der Gruppe, mit der man gemeinsam lernt.
In einem zweiten Schritt sind dann die konkreten Lernformate entscheidend. Moderne Formate geben Führungskräften die Möglichkeit, Veränderungen unmittelbar in ihre Arbeitspraxis mitzunehmen und dort auszuprobieren und umzusetzen. Methoden- und Anwendungskompetenz entsteht ja hauptsächlich durch Ausprobieren. Trainings können daher ruhig auch so etwas wie Laborcharakter haben. Das bedeutet eine Kombination aus Experimentieren und Scheitern um daraus Schlüsse zu ziehen. Denn die Zeiten von Wohlfühltrainings mit Happysheets am Ende sind meiner Meinung nach längst vorbei. Man muss vielmehr die eigenen Komfortzone verlassen und erkennen, wie man dadurch lernen und wachsen kann. Spaß darf es natürlich trotzdem machen! 🙂
Und was können Trainer und Coaches konkret machen, um das zu unterstützen?
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass sich Berater, Trainer und Coaches über ihre Branche hinaus vernetzen und neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit nutzen. Aktuell entstehen zum Beispiel gerade in den IT- und Entwicklungsbereichen neue Führungsformen, weil sich dort auch die Arbeitsmodelle immer stärker wandeln. Der Bedarf dafür ist auch in anderen Unternehmensbereichen groß. Daher gilt es zu sehen was da ist, zu prüfen, was davon nützlich sein kann und Bestehendes weiterzuentwickeln. Das gelingt am besten cross-funktional.
Was sind die möglichen Risiken von Agilität in der Führung?
Ein Risiko ist es, agile Führung als Quick-fix sehr eindimensional ins Unternehmen bringen zu wollen. Ideal ist es, auf mehreren Ebenen anzusetzen: Es braucht Know-how, Anwendungskompetenz und Mindset – also Knowing- Doing -Being.
Ein weiteres Risiko ist es, einen (scheinbar) erfolgreichen agilen Ansatz eines anderen Unternehmens kopieren zu wollen. Besser ist es, zuerst einen Blick auf die eigene Situation zu werfen und die wichtigsten Handlungsfelder zu identifizieren.
Wenn wir schon bei praktischen Tipps sind: Wie setzt Du digitale Technologien in Deinen Workshops und Trainings ein?
Ich verwende viele unterschiedliche Dinge in der Beratung und in meinen Workshops und Trainings. Ein guter Leitsatz ist finde ich: Ein digitales Tool darf nie Selbstzweck, sondern immer nur Mittel zum Zweck sein. Die Frage ‚Was soll damit erreicht werden?‘ ist entscheidend. Mir geht es nicht darum, einfach ein cooles Gadget einzusetzen, sondern immer um eine Wirkung, die erzielt werden soll.
Hast Du ein ganz konkretes Beispiel?
Ja gerne – Ich setze zum Beispiel ein adaptives Expertensystem zur Potenzialerhebung ein. Das ist eine cloudbasierte Lösung, die es in kurzer Zeit ermöglicht, ein valides Bild zu Führungspotenzialen zu erhalten. Diese Informationen fließen dann in Beratungs-, Workshop- und Coachingprozesse ein. Durch die Interaktion mit den Teilnehmenden sind sie selbst von Anfang an involviert und ich merke, dass das zu höherer Akzeptanz und mehr Offenheit führt.
Nun zu Deiner eigenen Person. Du kommst eigentlich aus dem Finanz- und dem Marketingbereich. Was hat Dich dazu bewegt, dich auf die Führungskräfteentwicklung zu spezialisieren?
In beiden Funktionen hatte ich die Gelegenheit, große Veränderungen in Unternehmen mitzugestalten. Besonders geprägt hat mich dabei die Erkenntnis, dass Menschen und Organisationen nicht per Knopfdruck verändert werden können, dass Kultur nur indirekt beeinflussbar ist und dass Führung als Multiplikator oder Verhinderer agieren kann. Meine Neugier, die Dynamiken dahinter näher zu ergründen war so groß, dass ich bald meinen beruflichen Fokus in diese Richtung gesetzt habe. Damit hat eine Reise begonnen, die nach wie vor sehr spannend für mich ist und die mir Tag für Tag Freude macht. Und mein Finanz- und Marketingbackground ist für mich als Unternehmerin natürlich nach wie vor ganz hilfreich. 🙂
Da Du ja selbst Gründerin und erfolgreiche Unternehmerin bist, bringt uns das zur nächsten Frage: Was ist Dir in der Führung Deiner MitarbeiterInnen besonders wichtig?
Führung heißt für mich Möglichkeiten schaffen – daran erinnere ich mich immer wieder. Ich will ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem Platz ist für eine gemeinsame Vision und Freude, um an dieser zu arbeiten. Das ist im täglichen Tun nicht immer einfach. Also heißt Führen auch, Ausdauer zu zeigen, Umwege zuzulassen und Lernen bei einem selbst und bei anderen zu ermöglichen.
Das interessiert uns noch ein bisschen genauer: Wie kann man Deinen Führungsstil beschreiben?
Ich denke mein Führungsstil ist vor allem geprägt von der Grundannahme, dass Menschen eigenverantwortlich und selbstbestimmt handeln. Für ein gemeinsames Ziel braucht es immer eine klare Abstimmung der gegenseitigen Erwartungen. Offenheit, Transparenz und Vertrauen sind mir dabei wichtig und die versuche ich, zu leben und zu stärken. Mit dieser Basis im Gepäck mache ich mich täglich auf in meine eigene Führungspraxis.
Was würdest Du einer Führungskraft empfehlen, die gerade am Anfang ihrer eigenen bewussten, agilen Reise durch die Digitalisierung steht?
Bitte nicht auf Gurus und Verkünder hören, die das agile Paradies versprechen. Lieber mit gesundem Menschenverstand an die eigenen Herausforderungen herangehen und sich mit Agilität differenziert auseinandersetzen, um die Sinnhaftigkeit aber auch die Risiken zu erkennen. Und dann ganz konkret und praxisorientiert Schritt für Schritt Anwendungs- und Einsatzgebiete im eigenen Unternehmen erkunden.
Jetzt ein Blick in die Zukunft: Welche großen Herausforderungen kommen erst noch auf uns zu?
Eine der größten Herausforderungen ist aus meiner Sicht die Ausrichtung der Human Resource Funktion. Die Personalentwicklung in Unternehmen muss sich auf die neuen Anforderungen aufgrund veränderter Geschäftsmodelle einstellen. Derzeit greifen die HR Verantwortlichen inhaltlich viel auf aus Digitalisierung, Agiliät, Innovation und so weiter. Die eigene Rolle und die HR-Instrumente werden aus meiner Sicht jedoch noch viel zu wenig auf den Prüfstand gestellt. Und das betrifft auch die Führungskräfteentwicklung. Wie oben beschrieben braucht es dazu neue Lernformate, die auch Irritation und Experimentieren zulassen. Das erfordert von den HR-Verantwortlichen in Unternehmen viel Mut und auch Überzeugungskraft in Richtung Management. Viel zu oft sehe ich noch, dass lieber auf Bewährtes gesetzt wird, um nicht zu viel zu riskieren. Das kann sich jedoch kein Unternehmen auf Dauer leisten, dass die Führungs- und Schlüsselkräfte nicht auf dem neuesten Stand sind in ihrer Führungspraxis.
Auf der anderen Seite sind auch die Berater gefordert. Wie schon gesagt: es braucht in den nächsten Jahren verstärkt eine neue Form der Beratung und Entwicklung im Führungskräftebereich. Mehr vom dem was es bisher schon gab dafür aber mit etwas digitalem und agilen Anstrich wird nicht reichen.
Du triffst in deiner Ausbildungstätigkeit nicht nur Führungskräfte, sondern auch Studenten an der Fachhochschule: Wie bereitest Du sie auf eine berufliche Zukunft vor?
Ich bin überzeugt, dass Studenten und Studentinnen schon jetzt die Möglichkeit brauchen, berufliche Zukunft zu erleben statt nur darüber zu hören und zu lernen. Deshalb schaffe ich in meinen Lehrveranstaltungen Raum für Erfahrungslernen zum Beispiel durch Simulationen. Anfangs sind die Studierenden immer etwas irritiert, weil viele das so noch nicht kennen aus dem Studiom. Doch dann überwiegt die Neugier und es ist so schön zu sehen wie sie entdecken, dass viel Potenzial in ihnen steckt. Ich ermutige sie dann ganz konkret, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Die Generation, die jetzt in der Ausbildung ist, gestaltet im Endeffekt nicht nur ihre eigene berufliche Zukunft, sondern die der Unternehmen. Es braucht daher kritisch denkende und gestaltungswillige Menschen. Als Lektorin ist es mir ein Anliegen, junge Erwachsene auf diesem Weg zu begleiten und zu unterstützen. Gleichzeitig lerne auch ich selbst durch den intensiven Austausch. Ich nenne das co-kreative Entwicklung.