Euphorie trifft auf Unsicherheit: In Bezug auf Agile Leadership kann man große Begeisterung und viel Tatendrang am Markt beobachten. Immer öfter hört man aus Unternehmen, dass sie planen, agile Methoden einzuführen. Bei genauerem Nachfragen wird aber meist auch viel Unsicherheit darüber spürbar, was dieses agile Konzept eigentlich genau ist, was es für ein Unternehmen bedeutet und ob und warum es sinnvoll ist oder auch nicht. Im Folgenden ein paar Gedanken dazu aus drei verschiedenen Perspektiven: aus der als Individuum, als Team und als Unternehmen.
Die Autorin
Dieser Artikel wurde von Alexandra Sock für unseren Blog verfasst. Sie lebt aktuell in Wien, ist Managing Partner bei MDI Management Development International sowie leidenschaftliche Trainerin, Beraterin und Coach mit langjähriger internationaler Erfahrung in den unterschiedlichsten Branchen. Bereits seit längerer Zeit beschäftigt sie sich mit dem Thema agile Führung und hat nun gemeinsam mit MDI einen Basis-Workshop dazu entworfen. Wenn Sie sich für das Thema Agile Führung interessieren, finden Sie in diesem Video einen Einblick in die Ziele und Methoden des Basis-Workshop und sind vor allem herzlich eingeladen, Alexandra Sock direkt zu kontaktieren, um sich mit ihr auszutauschen.
Agile Leadership nimmt Fahrt auf
Warum agile Führung gerade in den letzten Monaten so viel Fahrt aufgenommen hat, liegt meiner Ansicht nach an drei Faktoren.
Erstens bemerken Unternehmen und Teams immer mehr, dass man sich heute nicht mehr auf die Faktenlage verlassen kann, zumindest nicht langfristig. Das heißt, dass nicht alles, was heute richtig ist, morgen auch noch so sein muss. Daher müssen Unternehmen einen Weg finden, um schnell auf Veränderungen zu reagieren und um zu lernen, was passend ist und was nicht.
Der zweite Aspekt, wieso das Thema an immer mehr Bedeutung gewinnt, ist die zunehmende Komplexität und Unsicherheit am Markt im Allgemeinen und der gesamten Unternehmens-, Produkte- und Markenwelt im Besonderen. Um zukunftsfähig zu sein, müssen Unternehmen nicht nur flexibel sein sondern trotz komplexer Umstände in der Lage sein, Innovation zu schaffen und neue Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Je mehr unterschiedliche Köpfe dabei zusammenarbeiten, desto mehr versprechen sich Unternehmen eine passende Antwort zu finden. Diese Interdisziplinarität ist ein wesentlicher Faktor von Agile Leadership.
Komplexe und schnell ändernde Märkte – auf diese Veränderungen muss ein Unternehmen lernen zu reagieren
Der dritte Faktor ist eine veränderte Sichtweise in der Führungskultur. In den letzten Jahren hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass Menschen selbstständiger denken und arbeiten wollen, als man es bisher im Unternehmen mit klassischen Hierarchiestrukturen möglich war. Man denke nur an die Ansichten und Bedürfnisse der Generation Y und die der bereits wieder darauffolgenden Generation, die sich dem Arbeitsmarkt nähert. Das klassische Führungsverständnis ist nicht mehr zeitgemäß und modernes Arbeiten verlangt nach neuen Modellen und Herangehensweisen. Agile Führung ist eine davon.
Einführung von Agile Leadership: Top-Down oder zuerst im Team?
Wenn wir nun von Agilität sprechen, reden wir generell immer von drei Ebenen: der individuellen Ebene, der Teamebene und der Organisationsebene. Um nicht überstürzt an das Thema agile Führung heranzugehen und anschließend bei der Umsetzung zu scheitern, muss ein Unternehmen erst einmal abwägen, ob und inwieweit agile Methoden im eigenen Haus überhaupt sinnvoll sein können. Dabei ist wichtig zu wissen: Agile Führung muss nicht immer gleich im ganzen Unternehmen eingeführt werden, es kann zu Beginn auch in einzelnen Teams oder Bereichen sinnvoll sein. Vor allem dann, wenn ein Team sehr komplexe und unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen hat oder unterschiedliche Themenbereiche abdecken muss. Der Grad der Komplexität ist also ein Indikator, der agiles Arbeiten grundsätzlich mehr oder weniger sinnvoll macht.
Die Top-Down Herangehensweise braucht es sicher dann, wenn eine agile Unternehmenskultur das Ziel ist, da dafür meist ein kompletter Kulturchange stattfinden muss. Ohne Führungsebene an Bord ist das undenkbar. Bei so einem Kulturchange geht es dann zum Beispiel darum, wichtige Antworten auf die Fragen zu finden, wer, wo, wann und wie bei Projekten und Entscheidungen mitreden darf, wie man mit interner Informationsfreigabe umgeht – Stichwort Transparenz – und wie sehr die bestehenden Hierarchien aufgeweicht werden können oder sollen.
Bevor man entscheidet, ob die Einführung Top-Down oder im einzelnen Team erfolgt, ist die zentrale Frage also: Wie weit wollen wir gehen? Oder vielleicht: wie weit müssen wir gehen, um konkurrenz- und zukunftsfähig zu bleiben?
Agile Leadership auf drei Ebenen
Hat man sich nun dafür entschieden, zukünftig auf Agile Leadership zu setzen, gilt es, die drei Ebenen – Individuum, Team und Unternehmen – genau zu beleuchten, um potenzielle Widerstände frühzeitig abzufangen.
Agile Leadership auf individueller Ebene
Als Individuum muss ich mich in Bezug auf agile Führung im ersten Schritt fragen, wie transparent ich im Moment arbeite, wie sehr ich selbstgesteuert agieren kann und wie viel Verantwortung ich trage beziehungsweise tragen darf. Wenn ich aktuell in einem sehr hierarchieorientierten Team arbeite, in dem es fast ausschließlich klare Anweisungen des Vorgesetzten gibt, die abgearbeitet werden, ist der Spagat zum agilen Handeln natürlich sehr groß. Falls ich jetzt schon viel Freiraum habe und hauptsächlich selbstgesteuert arbeite, ist der Unterschied zur agilen Arbeitsweise vielleicht kaum bemerkbar.
Dann muss man einen Blick auf den Status quo werfen und sich fragen: Wie eigenverantwortlich und transparent möchte ich denn überhaupt sein? Es gibt sicher genug Personen für die das (noch) nicht das erklärte Ziel ist und vielleicht auch nie sein wird.
Noch ein Faktor, der Agilität auf individueller Ebene ausmacht, ist die Fehlerkultur. Als Mitglied eines agilen Teams ist die Bereitschaft, Fehler rasch und offen einzugestehen, wichtig. Anderenfalls behindert man möglicherweise die Weiterarbeit aller anderen Teammitglieder. Aus Sicht einer etablierten Führungskraft kann es im Zuge agilen Arbeitens durchaus schwierig sein, nicht mehr erklärter Anführer sondern gleichberechtigter Teil eines Teams zu sein. Dadurch wird automatisch auf viel Einfluss und Macht verzichtet.
Agile Leadership auf Teamebene
Sind die individuellen Voraussetzungen für agile Methoden gegeben, liegt die Herausforderung im Team vor allem auf der Kommunikationsebene. Ständiges Abstimmen, Austauschen und Kommunizieren sind wesentlich im agilen Setting. Sind die Strukturen dazu nicht vorhanden, kommt es zu Schwierigkeiten. Für eine agile Kommunikationsstruktur braucht es Offenheit und tendenziell eher extrovertierte MitarbeiterInnen sowie die richtigen Tools. Bei der Einführung von agilem Arbeiten im Team lohnt es sich also, auch in die Kommunikationsstruktur und -fähigkeiten der Mitglieder zu investieren.
Ständige Kommunikation – das A&O in einem agilen Team
Agile Leadership auf Organisationsebene
Die Organisation als Gesamtheit muss für das Etablieren agiler Strukturen dafür bereit sein, Hierarchien aufzuweichen und den Status quo zu hinterfragen beziehungsweise auch von MitarbeiterInnen hinterfragen zu lassen. Wir erinnern uns: Was heute richtig ist, muss es morgen nicht mehr sein. Für die Führungsebene eines Großunternehmens kann sich dieses ständige in Frage stellen kombiniert mit den flacheren Hierarchien natürlich im ersten Moment als Kontrollverlust präsentieren, der instinktiv eher zu vermeiden ist. Nicht selten sehe ich, dass sich ein Unternehmen an das Unterfangen Agile Leadership heranwagt und dann, wenn das volle Ausmaß bewusst wird, wieder einen Schritt zurückgeht. Um auf Unternehmensebene wirklich agil zu werden, braucht es hier viel Offenheit und starkes Commitment dazu, sich von starren Regeln und Abläufen zu verabschieden.
Die Rolle von Führung und Führungskraft in der agilen Welt
Jetzt könnte man natürlich den Eindruck gewinnen, dass jegliche Führung in dieser agilen Welt nutzlos bis kontraproduktiv geworden ist. Tatsächlich wird stark diskutiert, ob und wie weit klassische Führung im agilen Setting noch sinnvoll ist. Ich persönlich bin der Meinung, dass es Führung immer brauchen wird. Und zwar Führung im Sinne von Steuerung und dem Setzen von Rahmenbedingungen. Was sich jedoch zunehmend ändert, ist, dass Führung in der agilen Arbeitswelt nicht mehr von einer Einzelperson ausgeht, sondern von mehreren. Es ist also nicht so wichtig, wer den Rahmen setzt, sondern nur, dass einer gesetzt wird. Das ist notwendig damit jeder weiß, wie weit er/sie gehen darf und was budget- und ressourcentechnisch möglich ist. Es gibt also keine Abschaffung der klassischen Führungskraft, sondern eher eine Änderung der Verteilung und Rollendefinition. Führen ist nicht mehr alleine die Aufgabe der Führungskraft, sondern die von allen Teammitgliedern. Dafür müssen Einzelne bereit sein, Kontrolle an eine Gruppe abzugeben.
Fazit: Richtige Selbstwahrnehmung als Grundvoraussetzung für Agile Leadership
Je intensiver man sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr wird man sich bewusst, dass Agile Leadership in erster Linie keine Toolbox oder Methode ist, die man einfach einführen kann. Es handelt sich dabei um eine Geisteshaltung, die beim Einzelnen beginnt. Der Umgang aller Beteiligten miteinander und der Bezug zu den eigenen Aufgaben und dem Arbeiten im Allgemeinen stehen im Zentrum. Was treibt uns an? Wie arbeiten wir zusammen? Wie gehen wir miteinander um? Wie viel Transparenz lassen wir zu und wie viel Kontrolle sind wir bereit abzugeben?
Erst wenn die Beantwortung all dieser Fragen in Richtung Agile Leadership zeigt und damit die richtige Selbstwahrnehmung herrscht – als Individuum, als Team und als Unternehmen – lohnt es sich wirklich, in die Einführung agiler Methoden zu investieren.
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Design Thinking erklärt
Was steckt hinter dem Hype und was kann das Konzept leisten? Design Thinking ist eine agile Innovations- und Problemlösungsmethode die von Interdisziplinarität und flexiblem Räumen profitiert und darauf abzielt komplexe Problemstellungen auf eine unkonventionelle und strukturierte Art zu lösen. Wir haben Trainerin Ursula Weixlbaumer-Norz zu diesem spannenden Thema interviewt.
Video: Agile Führung - Orientierung und Grundlagen
OKR, Kanban, Scrum, Design Thinking, Management 3.0, Lean Management … die Liste an Tools und Konzepten rund um Agile Führung ist lang, der Begriff in aller Munde und naheliegend der Gedanke: Damit sollten wir uns jetzt auch beschäftigten. Was aber bedeutet agile Führung genau und wie sinnvoll ist der Einsatz von agilen Methoden im eigenen Unternehmen überhaupt? Wir haben unsere Trainerin Alexandra Sock in einem Kurzinterview dazu befragt.
Emotionale Führung
Als Führungskraft ist man tagtäglich mit unterschiedlichen Emotionen konfrontiert, natürlich mit positiven und negativen. Mittlerweile ist es kein Tabuthema mehr seine Gefühle offen zu zeigen, was einerseits neue Chancen eröffnet, andererseits aber auch herausforderndsein kann. Wie kann ich als Führungskraft also Emotionen erkennen und richtig damit umgehen?