Führung muss auf allen Ebenen wahrgenommen werden! Ganz besonders im Zusammenhang mit Krisensituation wie Burnout oder Mobbing im eigenen Team. Ein eher extremes Fallbeispiel dient hier als Einstieg für einige Denk- und Lösungsansätze für all jene Führungskräfte, die die Verantwortung ihren MitarbeiterInnen gegenüber als ganzheitliche sehen und in der Krisensituation richtig reagieren wollen.

Über den Autor

Nach einer langjährigen Führungslaufbahn als Vertriebs- und Marketingexperte hat Alexander Rehm 2013 RLD – Rehm Leadership Development (www.rld-group.com) gegründet und arbeitet seitdem als zertifizierter Executive Coach auf Top Level Niveau. Er unterrichtet außerdem an der FH Kufstein „Leadership und International & Cross Cultural Management“ und ist Gastdozent des Executive MBA der Universität Zürich. 2014 ist sein Buch „Bonsai – Vom Vorgesetzten zur Führungskraft“ erschienen. Gemeinsam mit MDI betreut er Top Manager und Executives internationaler Großunternehmen als Coach für alle Führungsherausforderungen.

Fallbeispiel – „Da musst Du Dir eben eine dickere Haut zulegen.“

 

Unternehmen X hat mich vergangenes Jahr engagiert, um seine Top Manager im Rahmen eines Führungsseminars zu begleiten und zwar Anhand von geführter Reflexion zu 360°-Feedback-Berichten. Beim Report von Monika W. ist mir in der Vorbereitung aufgefallen, dass sie „Ratschläge“ erhielt, dass sie durchaus selbstsicherer sein könnte, Führungsprobleme aktiver lösen könnte und mehr Wert auf die Zusammenarbeit mit den Kollegen legen sollte. Und als ich sie zum Start unserer Coaching-Session fragte, welches der Themen aus dem Feedbackreport sie gerne ansprechen wollte, sagte sie „Mein Chef“ und brach in Tränen aus.

 

Die Hintergründe

 

Monika W. hatte ca. zwei Jahre vor unserem Gespräch einen Totalausfall in Form eines diagnostizierten Burnouts erlitten. Sie war für längere Zeit nicht im Unternehmen und wurde aus ihrer Sicht „nebenbei“ betreut um nach 8 Monaten wieder ins Unternehmen re-integriert zu werden.

Sie war dankbar und man übertrug ihr wieder die Führung eines Bereiches, in dem sie allerdings nur eingeschränkt auf ihre bisherige fachliche Erfahrung zurückgreifen konnte. Man kann von guter Absicht ausgehen, dennoch waren die Erfolgsaussichten von Anfang an eher gering. Abgesehen davon, dass sie ab dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme ihrer Arbeit weder von einem Psychologen noch von einem ausgebildeten Coach begleitet wurde, hat auch ihr Vorgesetzter die Verantwortung seiner Mitarbeiterin gegenüber nicht wahrgenommen.

Monika W. berichtete mir, sie habe mehrmals versucht, die ständig steigende Arbeitsbelastung, die unter anderem mit der Inkompetenz einer ihrer wichtigsten Mitarbeiterinnen verbunden war, mit ihrem Chef zu besprechen. Wie sich aber herausstellte, hatte ihr Chef einen besonderen Draht zu gerade dieser Mitarbeiterin, die somit unter seinem speziellen „Schutz“ stand. Dies führte dazu, dass Monika W. selbst noch mehr arbeitete, um die Nicht-Arbeit Ihrer Mitarbeiterin zu kompensieren und nicht den Anschein zu erwecken, ihre Abteilung nicht im Griff zu haben. Sie versuchte mehrmals ihren Chef einzubinden, offenbarte ihre Verzweiflung und bat um Hilfe. Seine Antwort: „Da musst Du Dir eben eine dickere Haut zulegen.“ Dem nicht genug, ‚bewertete’ er im 360°-Feedbackreport ihre Kooperationsbereitschaft als unzureichend und forderte sie auf, ihre Probleme im ‚Performance Management’ zu lösen.

In diesem Fall kamen also gleich zwei Krisensituationen zusammen. Auf der einen Seite das vermeintlich überstandene Burnout der Mitarbeiterin und ein gezieltes Mobbing. Denn  wenn wie in diesem Fall der eigene Chef das 360°-Feedback nutzt, um Kritik am Führungsverhalten seiner Führungskraft anzubringen, diese aber in sonstigen Gesprächen lobt, halte ich das für gezieltes Mobbing.

Das 360° Feedback wurde nur genutzt, um Kritik an der Führungskraft anzubringen, obwohl diese in anderen Gesprächen gelobt wurde, das als gezieltes Mobbing verstanden werden kann

Wie man MitarbeiterInnen in der Krise betreut

 

Dass die im Fallbeispiel beschriebene Führungskraft kein Paradebeispiel an Verantwortung und Feingefühl ist, liegt auf der Hand. Ebenso wie die Tatsache, dass er/sie wohl nicht sonderlich an der Betreuung und dem Wohlergehen von Monika W. interessiert war. Aber auch als Führungskraft, die bemüht ist und gerne angemessen reagieren und helfen möchte, sind soziale Krisen wie eben Burnout oder Mobbing im eigenen Team Herausforderungen, die man (hoffentlich) nicht alle Tage hat und auf die man vielleicht nicht sofort oder intuitiv weiß, wie man richtig reagieren kann und soll.

 

Hier ein paar Anregungen für Führungskräfte und HR zu Vorbeugung und Umgang mit Krisen

 

  • Vertraulichkeit kann auch ein Risiko sein
    Unter dem Deckmantel dieses Begriffes verstecken sich mitunter „schwache“ Führungskräfte, eifersüchtige Kollegen oder unfähige Mitarbeiter, die sich entweder nicht trauen oder nie gelernt haben, richtiges Feedback dann zu geben, wenn ein Sachverhalt es erfordert. Da bei vertraulichen Maßnahmen wie dem 360°-Feedback niemand außer dem Empfänger die potentiellen Hasstiraden der Kollegen und Mitarbeiter liest, kann sich ein solcher Feedbackprozess zum Mobbing-Beschleuniger entwickeln. Offensichtlich vergessen manche Menschen, wenn sie unter dem Schutz der Anonymität stehen, jegliche Art von moralischer Verantwortung. Social Media lässt grüßen! Im obigen Fallbeispiel hat der Vorgesetzte die Vertraulichkeit missbraucht und damit seine Mitarbeiterin fahrlässig in das nächste Burnout befördert. Wer überlegt, in Maßnahmen wie 360°-Feedback zu investieren, sollte sich dieses Risikos bewusst sein.
  • Führung auf allen Ebenen
    Führung ist nicht allein mit dem Delegieren von Aufgaben erledigt. Soweit, so klar, dennoch wird die Führungsverantwortung nicht immer so gesehen. Und dann schreit es zum Himmel, wenn Vorgesetzte, die ganz offensichtlich mit ihrer Führungsverantwortung nicht umgehen können, einen wie oben beschriebenen menschlichen Schaden anrichten können. Mein Plädoyer: Verantwortungsvolle Führung muss auf allen Ebenen wahrgenommenen werden! Und jeder Chef hat auch selbst wieder einen Vorgesetzten.
  • Krankheiten ernst nehmen
    Sicher hat sich der eine oder die andere beim Fallbeispiel gedacht: Sie hätte sich ja an HR oder eine andere interne Stelle wenden können. Ja natürlich, aber: Burnout ist eine Krankheit ist, die häufig immer noch belächelt, von harten, selbstdisziplinierten Top Managern verdrängt und vor allem von den Kranken erst dann – wenn überhaupt – bemerkt wird, wenn sie die Situation alleine nicht mehr handeln können. Und Mobbing kommt in der Regel erst dann ans Tageslicht, wenn das Leid für den Betroffenen nicht mehr erträglich ist.
  • Eigenverantwortung
    Es wird immer wieder – auch in der Literatur – darauf hingewiesen, dass jeder Mensch in erster Linie für sich selbst verantwortlich ist und ja nicht gezwungen ist in einer solchen Situation zu bleiben. Das ist im Grundsatz richtig, doch darf man dabei nicht vergessen, dass jeder Mitarbeiter seinen ganz persönlichen Rucksack trägt. Monika W. war alleinerziehende Mutter und kümmerte sich um die Pflege ihrer an Demenz erkrankten Mutter. Ihren Glaubenssatz: „Du musst stark sein!“ konnte sie alleine nicht durchbrechen.
  • Gerne können Sie hier Ihre Meinung vertreten und unseren Artikel kommentieren

Zusatzwissen: Nutzen und Risiken vom 360° Feedback

 

Mitarbeiter, Kollegen, Vorgesetzte und zum Feedback eingeladene „Andere“ bewerten im Rahmen eines 360°-Feedbacks meist auf einer Skala von eins bis fünf die vorhandenen oder fehlenden Führungskompetenzen der jeweiligen Person und kommentieren, wie sie diese in bestimmten Situationen wahrnehmen. Vom Feedbacknehmer wird auch die eigene Einschätzung zu den hinterfragten Eigenschaften bzw. Kompetenzen ermittelt. So soll das Ergebnis einen Einblick auf mögliche Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdbild liefern. Besonders aufschlussreich sind in der Regel die Kommentare der Feedbackgeber, denn diese erlauben dem Empfänger auf den Absender zuzugehen und sich für die Offenheit zu bedanken – sofern der sich zu erkennen gibt. Ganz nach dem Motto „Feedback is a gift“ kann man das Geschenk annehmen oder auch nicht.

Risiko 1: Wenn die Annahme des gegebenen Feedbacks zur unreflektierten Anpassung des eigenen Verhaltens führt mit dem einzigen Ziel, im Unternehmen möglichst „beliebt“ zu überleben, findet kein Lernen statt. Das wäre jedoch der ursprüngliche Sinn der Rückmeldungen aus diesem Prozess.

Risiko 2: Wenn wie im Fallbeispiel der eigene Chef das 360°-Feedback nutzt, um Kritik am Führungsverhalten seiner Führungskraft anzubringen, diese aber in sonstigen Gesprächen in höchsten Tönen lobt, wird es extrem und man kann bereits von Mobbing sprechen.

Risiko 3: Man sieht in der Praxis auch immer wieder, dass anonymisierte Kommentare missbraucht werden, um dem Mitarbeiter/Kollegen/Vorgesetzten endlich einmal deutlich die Meinung zu sagen. Auch das geht eindeutig am Zweck des Prozesses vorbei und kann zudem erheblichen psychischen Schaden anrichten.

In diesem Kontext möchte ich auf das Buch „Das anständige Unternehmen“ von Reinhard K. Sprenger hinweisen, der die Meinung vertritt, dass ein sogenanntes 360°-Feedback „unanständig“ sei, weil es mittels Gruppendruck und Zwang zustande komme und die Empfänger nichts über sich selbst lernten, sondern bestenfalls erfahren würden, wie sie auf andere wirken.

Was hilft Ihnen als nächstes?

Blog: Emotionale Führung

Als Führungskraft kommt man immer wieder in Situationen, in denen man mit starken Emotionen konfrontiert ist: positive und negative. Mittlerweile ist Gefühle zeigen kein Tabuthema mehr, trotzdem haben manche Führungskräfte Schwierigkeiten mit den Emotionen ihrer MitarbeiterInnen umzugehen. MDI Trainerin Alexandra Sock erklärt, wie man richtig mit Emotionen umgehen soll und welche Chancen emotionale Führung für das Unternehmen hat.

Mehr erfahren

Video: Mitarbeiter führen

Als Führungskraft lohnt es sich, die eigene Werkzeugkiste ordentlich zu füllen, denn die Aufgaben einer Führungskraft sind so vielfältig wie die Charaktere der einzelnen MitarbeiterInnen. Doch braucht man wirklich für jede Aufgabe ein eigenes Werkzeug? Und falls ja, warum verwenden dann so viele Führungskräfte jeden Tag das immer gleiche Führungswerkzeug?

Mehr erfahren

Blog: Lateral führen

Laterale Führung ist nicht nur ein Konzept, das vorgibt, wie man KollegInnen und Teams ohne hierarchische Macht führen kann. Es ist vor allem ein Führungsstil auf Augenhöhe und ein zentraler Bestandteil im HR-Bereich. In diesem Blogbeitrag erzählt Sabine Trost, Personalentwicklerin an der Veterinärmedizischen Universität Wien über Laterale Führung aus HR-Sicht.

Mehr erfahren

Pin It on Pinterest

Share This